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Ackern wir uns zu Tode?

9 Aug

Diesen Beitrag hielt ich (so oder so ähnlich) in freier Rede am 08.08.2016 bei den ToastMastern, Speakers Corner in München:

Karōshi.

Karōshi ist japanisch und bedeutet Tod durch Überarbeiten. Also einen plötzlichen berufsbezogenen Tod. Die Todesursache ist dabei meist ein durch Stress ausgelöster Herzinfarkt oder Schlaganfall. In Japan trat das Phänomen bereits in den 1970ern auf, wo Arbeitnehmer über Jahre hinweg sechs bis sieben Tage pro Woche mehr als zwölf Stunden täglich arbeiteten.

Aber auch in Deutschland machten vor einigen Jahren ähnliche Schlagzahlen in Deutschland die Runde: Arbeiten bis zum sprichwörtlichen Umfallen – immer mehr Menschen brechen heutzutage stressgeplagt bei der Arbeit schwer erkrankt zusammen – und scheiden nicht selten nach Burnout, Schlaganfall oder Herzinfarkt komplett aus dem Berufsleben aus.

Ackern wir uns zu Tode? Ich sage: Nein.

Denn seit 3 Jahren haben wir uns ein Stück Ackerfurche gepachtet, daher bin ich der Meinung wir ackern nicht viel genug!
Im Gegenteil, seitdem bin ich der Meinung, dass das Betreiben von Ackerbau oder zumindest einer kleinen Acker-Parzelle oder eines kleinen Gartens Stress reduziert und so vor dem Umfallen bei der Arbeit schützt:

Somit möchte ich Euch 3 Gründe nahelegen, warum m. E. jeder Ackerbau betreiben sollte:

  • Es ist gesund. Insbesondere Menschen, die sonst viel Zeit vor dem Computer sitzen und vor allem solche, die nicht ganz so sportlich sind, haben dadurch die Möglichkeit, Zeit an der frischen Luft zu verbringen und sich auf einfache Weise körperlich zu betätigen.
  • Egal, mit was für hochgeistigen Projekten und Ideen wir uns in unserer Arbeit beschäftigen, die Hände in der Erde zu haben, Unkraut zu jäten oder Saatgut bzw. Setzlinge zu Pflanzen verbindet uns mit dem Boden der Tatsachen. Es erdet ungemein.
    Wenn ich auf unserem Acker stehe und sehe, wie viele vor mir liegende Meter Acker noch umgegraben, Unkraut gezupft oder bepflanzt werden soll, geht es mir immer so wie dem Straßenkehrer Beppo in Michael Endes Buch „Momo“:

„Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich.
Man denkt, die ist schrecklich lang, das kann man niemals schaffen.
Aber man darf niemals die ganze Straße auf einmal denken.
Man muss nur an den nächsten Schritt denken,
an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich.
Auf einmal merkt man, dass man die ganze Straße gemacht hat.
Man hat gar nicht gemerkt, wie, und man ist gar nicht außer Puste.“

So gesehen, finde ich, hat Ackern etwas Meditatives!

  • Es erhöht die Wert-Schätzung gegenüber unserer Nahrung.
    Das selbst angebaute Gemüse zu essen, macht mich stolz. Außerdem schmeckt es viel besser als gekauftes. Wenn ich im Laufe von Wochen und Monaten sehe, wie viel Arbeit nötig ist, um 5 Karotten zu ernten, auch wenn die Arbeit noch so viel Freude macht, kommt mir immer wieder der Gedanke in den Sinn, unter welchen Bedingungen wohl die Karotten aufgewachsen sind, die man für 79 Cent das Kilo im Supermarkt kaufen kann.

Vermutlich denkt sich jetzt der eine oder andere von Euch: „Ich wohne hier in der Stadt, wie soll ich mir da ein Stück Acker leisten können bei den Bodenpreisen“ – oder: „Schrebergärten sind mir zu spießig.“

Auch in der Stadt gibt es verschiedene Möglichkeiten oder Initiativen, die dabei helfen, sich ein Stück Acker zu mieten und Gemüse anzubauen:

  1. Krautgärten – eine Initiative der Stadt München, gibt es in vielen verschiedenen Stadteilen
  2. ÖBZ (Ökologisches Bildungszentrum) in Daglfing
  3. O’Pflanzt is-Gemeinschaftsgärten – eine Privatinitiative in Schwabing/Neuhausen

So möchte ich abschließen mit einem Zitat des  indischen Dichters und Philosophen Rabindranath Tagore (1861 – 1941):

„Dumme rennen, Kluge warten, Weise gehen durch den Garten.“

Also, worauf wartet ihr noch?

Integration

2 Feb

In den letzten Wochen & Monaten war quer durch alle Medien das Thema der zahlreich nach Deutschland (und in andere westeuropäische Länder) kommenden Menschen (manche verwenden auch das Wort Flüchtling) sehr präsent. Auf die vielfältigen Attribute, die in den Medien diesen Menschen zugeschrieben werden, oder die Thesen, ob die hierher kommenden Menschen nun gute Gründe haben, ihre Heimat zu verlassen oder das ganze eine geschickt eingefädelte Aktion von wem auch immer ist, um Europa in Unfrieden zu bringen und damit wirtschaftlich zu schwächen, wie von verschiedenen Stimmen & Gerüchte zu hören ist, möchte ich gar nicht eingehen. Denn eine pauschale Antwort aus deutscher (Aussen-)Perspektive ist aufgrund der Vielzahl der individuellen Gründe der Menschen weder möglich noch etwas anderes als Spekulation.

Auch finde ich es müßig, sich darüber Gedanken zu machen, ob diese Situation nun eine „Gefahr“ oder eine „Chance“ für Deutschland respektive Europa darstellt, wie andere Stimmen verlauten lassen. Denn die Situation ist nun einfach mal da – und damit heißt es umzugehen, egal wie wir sie finden oder bewerten. Und deshalb finde ich es umso wichtiger, sich Gedanken zu machen, wie wir konstruktiv mit der gegenwärtigen Situation umgehen können, sowohl auf national-politischer Ebene als auch auf regional-konkret praktischer Ebene.

Schnell war und ist in den letzten Wochen immer häufiger der Ruf nach „Integration“ zu hören. Offen bleibt nach wie vor, wie diese genau gelingen kann und soll. Nun ist es allerdings so, dass man zwar Menschen dazu bringen kann, Deutschkurse zu besuchen, die sie mit mehr oder weniger Erfolg abschließen. Man kann Menschen auch dazu bringen, irgendeine Arbeit anzunehmen, für die sie qualifiziert sind oder auch nicht. Evtl. haben die Menschen daran ein Interesse oder sogar Freude. Das wäre wunderbar und würde vieles erleichtern. Aber wenn man eines nicht kann, dann ist es, jemanden die „Integration“ in eine andere oder fremde Kultur zu verordnen. Genauso wenig, wie man jemanden dazu zwingen kann, einen anderen Menschen zu lieben.

Dennoch können wir – und mit „Wir“ meine ich uns alle – dazu einen wichtigen Beitrag  leisten, dass die vielen Menschen, die zur Zeit nach Deutschland kommen, eine Kultur und eine Haltung erleben, in die sie sich auch integrieren möchten. Denn der Begriff Integration kommt ja lt. Wikipedia vom Lateinischen integrare, was „erneuern, ergänzen, geistig auffrischen“ bedeutet.

Für diese ‚geistige Auffrischung‘ ist es hilfreich, seinen Blick wie aus einer Hubschrauber-Perspektive mal auf sich selbst zu richten und auf sich selbst zu schauen, wie wir denn eigentlich leben. Damit meine ich nicht: „Wie groß ist das Haus oder die Wohnung, in der wir leben?“ oder „Wie groß das Auto, das jemand fährt?“ Sondern ich meine viel mehr: Wie gehen wir mit Kindern um? Oder mit alten Menschen? Oder mit Fremden? Wie gehen wir um mit Menschen, die andere Gewohnheiten haben als wir, z. B. andere Essgewohnheiten? Sind wir mit ihnen freundlich und offen und einladend oder begegnen wir ihnen mit Misstrauen? Sind wir (und dafür ist Deutschland ja auch ein Stück weit berühmt) strukturiert, organisiert und  „effizient“ oder haben wir vor lauter Effizienz das Gespür für das Wesentliche im Leben verloren – die Lebenskunst, die Mitmenschen, das Sein?

Und so möchte ich noch von einem kleinen Erlebnis aus unserem kleinen Ort bringen, das ich letzten Sommer hatte. Ich war eines Abends auf unseren Acker gefahren (von dem ich bereits hier und an anderer Stelle berichtet hatte), der nicht weit entfernt gelegen ist von einer Asylbewerber-Unterkunft, in der u. a. auch Afrikaner untergebracht sind. Ich war zum Acker hingefahren, um die Pflanzen zu gießen und Unkraut zu zupfen.
Als ich so mitten am Zupfen war, hörte ich auf einmal aus Richtung der Unterkunft Trommelmusik herüberschallen. Mit Trommelmusik (und auch darüber hatte ich ja bereits hier geschrieben) verbinde ich immer Sonne, Strand, Tanzen, Lachen, Lebensfreude & Leichtigkeit.

Und so setzte ich dann ganz beschwingt meine Ackertätigkeit fort – und dachte mir: Da gibt es etwas, was wir uns unsererseits für unser Leben von den Menschen aus anderen Kulturkreisen abschauen können. Ein Geschenk, das auch unser Leben bereichern kann – wenn wir es denn annehmen. Ich denke, es täte uns in vielerlei Hinsicht gut…

Vom Karma des Kartoffelackers

1 Jun

Bereits hier hatte ich ja schon von meinen ersten Erlebnissen und Gedanken auf unserm Sonnenacker berichtet. Nun möchte ich heute von einer weiteren Episode „berichten“.

Noch nicht berichtet hatte ich davon, dass auf der Ackerfläche, auf der sich unser Bifang befindet, auch in den Vorjahren schon immer nach dem gleichen Prinzip Furchen verpachtet wurden. Allerdings werden diese in jeder Saison neu verteilt, so dass man mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit jedes Jahr an anderer Stelle untergebracht wird, selbst wenn man sich schon viele Jahre an dem Projekt beteiligt.

Zwar gibt es gewisse Spielregeln (wie z. B. keine synthetischen Dünge- oder Unkraut-vernichtungsmittel zu verwenden oder nur einjährige Pflanzen anzubauen), aber wer weiss schon, ob sich da jeder so dran hält. Immerhin ist auch Rhabarber, den unsere Nachbarn angebaut haben, auch mehrjährig… Und so kommt es mir ganz oft – vor allem beim Unkraut jäten – so vor, als wenn das Sonnenacker-Projekt ein bisschen was von Karma hat. Du weisst nie, was in einem früheren Leben (respektive von Deinem Vor-Mieter) angebaut wurde oder was dieser sonst so angestellt hat.
Somit ist es immer wieder überraschend, welche Pflanzen sich zeigen, unabhängig von dem was wir selbst angebaut haben. Das „Karma“ unseres Ackers scheint jedenfalls irgendwas zwischen Pfefferminz, Gänsefingerkraut und Topinambur zu sein – was an sich ja auch ganz gut und/oder sein könnte, wenn wir nicht an gleicher Stelle lieber Karotten, Kräuter und Erbsen angebaut hätten.

Und so kommt mir gerade der Gedanke, dass diese Situation mich ein wenig an die Passage aus Hirschhausens Pinguin-Prinzip erinnert, wo es am Ende heißt, dass auch sieben Jahre Psychotherapie aus einem Pinguin keine Giraffe machen. Eigentlich wollten wir weder Pinguine noch Giraffen, sondern nur ein bisschen Gemüse züchten. Aber vielleicht gelingt es uns ja, auf unserer Ackerfurche zumindest ansatzweise etwas von dem zu ernten was wir sähen, anstatt nur die (vielleicht nicht so geliebten) verspäteten Früchte unserer „Vorfahren“ zu ernten…

PS:
Lieber Buddhistischer Leser, es liegt mir fern, mich über irgendwessen religiöse Ansichten lustig zu machen.
Falls Sie der Meinung sind, mein Vergleich hinke, bitte ich um Nachsicht.