Neulich bin ich auf meiner letzten Wanderung auf dem (portugiesischen) Jakobsweg durch den spanischen Ort Tui gekommen, den ersten Ort nach Überschreiten der spanisch-portugiesischen Grenze.
Dies erinnerte mich an ein Erlebnis, das ich vor vier Jahren hatte, als ich das letzte Mal hier war. Damals übernachtete ich in einer kleinen privaten Herberge und freute mich, dass ich auch noch abends um 20 Uhr das einzige Bett in meinem 6-Bett-Zimmer belegte. Normalerweise sind „ordentliche“ Pilger (und deutsche Pilger sind seehhr ordentlich *Ironie aus*😉) um diese Zeit schon längst angekommen und spätestens um 22 Uhr auch im Bett, damit sie sich am nächsten Morgen pünktlich um 6.30 Uhr oder sogar noch früher wieder auf den Weg machen können.
So war auch ich an besagtem Tag um die Zeit schon im Bett und sanft am Schlummern, als plötzlich Horden von Menschen mit schweren Schuhen laut die Holztreppe hinauf polterten, sämtliche Türen aufrissen, Licht anmachten, sich lautstark in einer fremden Sprache (Portugiesisch) unterhielten, dann (nachdem sie netterweise das Licht wieder aus und die Türen wieder zugemacht hatten) lautstark die Treppe wieder hinunter polterten. Eine Stunde später wiederholte sich das ganze, zum Glück einige Dezibel leiser, aber immer noch laut genug, um viele der bereits Schlafenden nochmals aufzuwecken.
In mir hat die ganze Aktion damals verschiedene Reaktionen ausgelöst. Zum einen war ich ziemlich sauer, in Anbetracht der Rücksichtlosigkeit dieser Horde Männer (es waren keine Frauen dabei). Mein nächster Gedanke war: „Oh Gott, so muss es sich anfühlen, wenn Krieg ist, wenn böswillige Menschen einfach in die Häuser stürmen und (im besten Fall nur) Angst und Schrecken verbreiten.“ Dann wurde mir klar, in wie vielen Ländern auf diesem Planeten es heutzutage nichts Ungewöhnliches ist, nachts durch solche oder ähnliche Erlebnisse aus dem Schlaf gerissen zu werden und sich nicht einmal im eigenen Zuhause sicher fühlen zu können. Das ließ mich gleich ein Stückchen dankbarer werden dafür, dass wir in Europa schon ziemlich lange in Frieden leben können und ein friedlicher Nachtschlaf daher für mich bis dahin etwas Selbstverständliches gewesen ist.
Und Sie? Was für Erfahrungen haben Sie schon mal mit den sogenannten Selbstverständlichkeiten im Leben gemacht?
Ich freue mich auf Ihre Geschichten!
Ihre Christina Bolte
PS: Am nächsten Morgen löste sich das Rätsel übrigens auf. Was passiert war, war folgendes: Eine Gruppe von ca 8-10 Portugiesen hatte sich mit ihren Mountainbikes von Porto aus, quasi als Wochenendausflug, auf den Jakobsweg begeben. An diesem Tag hatten sie etwa die Hälfte der etwa 240 km bis nach Santiago zurück gelegt und waren entsprechend adrenalin- und testosterongeladen. Leider hatten sie auf der portugiesischen Seite keine Unterkunft mehr bekommen und beim Betreten der Herberge in Tui vergessen,
a) daß in Spanien die Uhren schon eine Stunde vorgingen und deshalb
b) die anderen Gäste schon am Schlafen waren und
c) ihre Schuhe mit den Klickpedal-Einsätzen auf der Holztreppe einen Heidenlärm verursachten.
PS2: Mit dem Beitrag will ich nicht gesagt haben, dass Portugiesen rücksichtslose Menschen sind, im Gegenteil, die meisten von ihnen, die ich traf waren überaus freundlich. Ich denke vielmehr, dass es sich bei dieser Geschichte um eine für größere Gruppen typische Hirn-aus-Aktion handelt…