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Meine Pläne, das Leben und ich

11 Sept

Diesen Beitrag hielt ich – so oder so ähnlich – am 09.09.2019 in freier Rede im Speakers Corner München Toastmasters Club:

Vorfreude ist die schönste Freude, sagt man.
Deswegen bin ich auch kein Freund von Last-Minute-Urlaubsangeboten, denn da hat man ja vorher kaum Zeit, sich vor-zu-freuen.
Als alter Planungs-Junkie finde ich nämlich, je mehr Zeit ich meinen Urlaub planen kann, desto mehr freue ich mich, diese Planung dann auch tatsächlich umzusetzen.

Einer der Urlaube, die ich am ausführlichsten geplant hatte, war meine erste Alpenüberquerung mit dem Fahrrad, die ich zusammen mit meinem damaligen Freund machen wollte. Wir besorgten uns stapelweise Fachliteratur und Landkarten, um die perfekte Route auszuwählen. Landschaftlich schön sollte sie sein, in unseren Zeitplan von einer Woche hineinpassen, Start- und Zielorte sollten gut mit der Bahn zu erreichen sein – und natürlich sollte auch ordentlich Höhenmeter absolviert werden, damit der Urlaubsbericht in der Clique möglichst Eindruck hinterließ.

So recherchierten wir in einschlägigen Webseiten über Packlisten, Hüttenbewertungen und Routenvorschlägen. Aus Hunderten von Routen-vorschlägen stellten wir uns letztlich unsere eigene Route zusammen, Urlaub war eingereicht, die Fahrräder und Rucksäcke waren schon gepackt – und dann kam mein Freund einen Tag vor der Abreise spontan auf die Idee, mit mir Schluss zu machen.
Als Vegetarier sei ich ihm zu „Öko“, war seine Begründung. Na gut, dass der nicht weiss wie ich heute drauf bin, ich wüsste gar nicht, als was er mich jetzt bezeichnen würde…

Nun saß ich also vor den Scherben meiner Urlaubsplanung. Was also tun? Nachdem mir zu Hause alleine die Decke auf den Kopf fallen würde, tat ich also das, was ich schon immer gut konnte: Ich entwickelte einen neuen Plan.

Auf „unsere Route“ hatte ich keine Lust mehr, so kam ich nach einiger Recherche und Überlegungen auf die Idee, eine Alpenüberquerung mal anders herum als alle anderen zu machen, nämlich von Süden nach Norden. Also kaufte ich mir mal wieder alle möglichen Kompass-Karten um die neue Streckenführung auszuplanen, packte meinen kleinen Radtour-Rucksack und warf am nächsten Tag mein Rad in den Kofferraum meines Autos und fuhr los nach Meran.

Wie sich später dann herausstellte, war die Bezeichnung Alpenüberquerung nicht ganz zutreffend. Denn meine Tour ging zuerst nach Süden, nur um dann einen Tag später auf einer anderen Strecke wieder nach Norden und schließlich über das Zillertal nach Österreich zu gehen.

Unterwegs traf ich auf eine geführte Gruppe Italienischer Mountainbiker mit deutschem Guide und ebenfalls deutscher Begleitfahrzeugfahrerin, die in etwa die gleiche Tour geplant hatten wir ich. So schloss ich mich ihnen an – was für mich deutlich unterhaltsamer war, als alleine vor mich hin zu radeln.

Die Verständigung war zwar nicht so einfach, da die Italiener wenig deutsch oder englisch konnten, und ich zwar italienisch leidlich verstehe aber nicht spreche. So war eines meiner ersten Lernerfolge zu verstehen, dass es nichts mit einer Kaffeemaschine zu tun hat, wenn jemand von hinten „la macchina“ ruft, sondern dass es schlicht und einfach auf ein von hinten herannahendes „Auto“ hinweist.

An einem Tag fiel mein Blick dann zufällig auf das Outfit eines der Herren: farblich passend zum grünen Trikot eine grüne Radhose, am Tag zuvor rotes Trikot zu einer roten Radhose und während ich so darüber nachdachte, hatte er davor ein orangefarbenes Trikot zu einer orangefarbenen Radhose an. Ich war schwer beeindruckt – denn, obwohl man Frauen nachsagt, über riesige Kleiderschränke zu verfügen: So viele Radhosen besaß nicht nicht einmal, geschweige denn, dass sie farblich zu meinen Trikots passten oder ich sie in meinem Minimal-Mountainbike-Gepäck dabei hatte…
Das bestand nämlich nur aus einem 30-Liter-Tagesrucksack und zwei Trinkflaschen direkt am Rad dabei. Immerhin war eine der wichtigsten Lektionen meines Vaters gewesen: „Nimm immer nur so viel Gepäck mit, wie Du selbst tragen kannst“. Das habe ich auf Reisen immer beherzigt – so habe ich unterwegs auch noch nie einen Gepäcktransport benötigt.

Am dem Nachmittag, als wir Italien hinter uns ließen und auf der österreichischen Seite einen schönen Trail hinab ins Zillertal rollten, wetteiferten die Italiener in Sachen Coolness und Geschwindigkeit. Allerdings musste ich kurz darauf überrascht feststellen, dass keiner der italienischen Jungs in der Lage war, einen platten Reifen zu wechseln. So saß ich amüsiert an einem See und überlegte, ob ich mich einmischen sollte, während fünf italienische Männer ratlos um ein radloses Mountainbike standen…. bis endlich der Tourguide tatkräftig einschritt.

Während wir am nächsten Morgen beim Aufbruch im Zillertal unsere Mountainbikes aus dem Keller des Hotels holten, trugen wir zwei japanische Gäste ihre Snowboards nach draussen, um auf dem Hintertuxer Gletscher zu trainieren. Ich fragte mich nur, wer von uns wohl gerade die falsche Sportart hatte.
Wie sich dann herausstellte, waren wir das, denn auf dem Weg zur nächsten Hütte fing es tatsächlich zu schneien an.

Nach dem Aufwärmen auf der Hütte trennten sich allerdings unsere Wege, denn während die Jungs hinab ins Inntal und weiter nach Deutschland fuhren, fuhr ich nach Westen in Richtung Brenner weiter, denn ich musste ja noch mein Auto wieder in Meran einsammeln.
An dieser Stelle meiner Reise waren die Kuriositäten, die anders liefen als mein Plan, bei weitem noch nicht zu Ende.

Aber wenn ich ehrlich bin, wäre der Urlaub sterbenslangweilig gewesen, wenn alles immer nur nach Plan gelaufen wäre.
Seitdem weiss ich – wenn Du Gott zum Lachen bringen willst, erzähl ihm Deine Pläne.

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Der Geist des Camino

14 Jun

Im Mai war ich mal wieder auf dem Jakobsweg unterwegs. Ein Stück Weg ging ich gemeinsam mit einer Frau, so unterhielten wir uns. Sie war das erste Mal auf dem Camino und wollte, nachdem sie schon so viel von Bekannten über den Jakobsweg gehört hatte, sich ein eigenes Bild davon machen und dem, wie sie es nannte, „Geist des Caminos“ auf die Spur kommen.

Auf meine Frage, ob es ihr schon gelungen sei, sagte sie, dass ihr einige Aspekte durchaus aufgefallen waren. Einer davon sei sicherlich die spezielle Art von Gemeinschaft, die auf dem Jakobsweg vorherrscht, sowie die Offenheit, durch die sie sich auszeichne.

Gemeinschaft meinte sie dabei durchaus im mehrfachen Sinn: Einerseits natürlich im Sinn einer großen Kollegialität: Man  hilft sich und unterstützt sich, sei es mit ganz praktischen Dingen, dass man sich gegenseitig Dinge (z. B. Lebensmittel hinterlässt), die man nicht mehr benötigt, tauscht sich aber auch über ganz praktische Dinge aus, wie Unterkunfts-Empfehlungen oder die Art, am besten seinen Rucksack zu tragen.
Zum anderen ist die Pilger-Gemeinschaft sicherlich auch eine Art Schicksalsgemeinschaft: Man hat ja den gleichen Weg und dasselbe Ziel.

Was das Thema Offenheit betrifft, gibt es auf dem Pilgerweg überdurchschnittlich häufig die Gelegenheit für besonders tiefe Begegnungen und Gespräche, die fast schon intimen Charakter haben. Dabei meine ich intim natürlich nicht im sexuellen Sinn, wobei auch das sicher vorkommt, sondern eher in dem Sinn, dass man durch das Teilen von sehr engem Raum (auch im übertragenen Sinn) – sei es in der Pilgerherbergen oder auf einem Stück Weg – aber auch durch das Mit-Teilen von teilweise sehr persönlichen Geschichten oder Begebenheiten sehr viel von anderen Menschen erfährt. Zumindest gemessen an der kurzen Zeit, die man einander kennt (diese wird ja meist eher in Stunden oder Tagen ausgedrückt als in Monaten oder Jahren, wie im „normalen“ Leben).
Mir zumindest ist es in meinem Alltag noch nicht passiert, dass mir jemand Fremdes oder ein Mensch, den ich das erste Mal eher zufällig in einem Lokal treffe, sofort seine halbe Lebensgeschichte erzählt oder mir Einblick in die Tiefen seines Seelenlebens gewährt. Wie z. B. mit welchen Päckchen ihn oder sie das Schicksal oder Leben beschenkt hat. Im Gegenteil, das dauert sogar im therapeutischen Kontext manchmal länger!

Wieso ist das so? Wieso begegnen wir zu Hause anderen Menschen anders und zeigen uns weniger offen und verletzlich?

Nun, vielleicht ist das (neben anderen Dingen) eines jener Geheimnisse des Caminos, die sich dem Menschen nicht sofort bis gar nicht offenbaren. Sozusagen, „der Geist des Caminos“. Das Numinose, „das ewig Geheimnisvolle“. So wie auch das Göttliche niemals vom Menschen vollständig erfasst werden kann…. Das, nach dem am Ende immer eine tiefe große Sehnsucht bleibt.

Geheimnis-umwobene Grüsse und
Alles Gute auf dem Weg wünscht

Christina Bolte

Merk- und Denkwürdiges unterwegs

28 Apr

Am letzten Sonntag war wieder ein Pilgertag „LeerLauf für den Kopf“. So gingen wir von Schäftlarn nach Starnberg, wo uns – natürlich neben vielen schönen Dingen – auch einige Denk- und Merkwürdigkeiten begegeten. Wobei die Tatsache , dass es Ende April urplötzlich wieder angefangen hatte zu schneien, nachdem es quasi den ganzen Winter keinen Schnee gegeben hatte, an sich schon merkwürdig genug war.

Zum Beispiel fragten wir uns, wo derjenige, der sonst hier ist, wohl hingegangen war. Leider trafen wir niemanden an, um zu fragen …

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Außerdem bewunderten wir die „Fifty Shades of Green“…

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…und fragten uns, ob die Fledermäuse dies wohl lesen können…
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Und wir freuten uns mit den Schnecken, dass diese ihr Zuhause immer mit dabei haben!

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Möge es Ihnen gehen wie der Schnecke – und seien Sie bei sich zu Hause.
Oder anders: Seien Sie immer bei sich zu Hause!

 

Eine schöne Zeit wünscht Ihnen

Christina Bolte

Schwimmen gegen den Strom (3)

4 Nov

In meinen letzten bzw. vorletzten Beiträgen erwähnte ich, dass ich den Jakobsweg entgegen der „normalen“ Richtung gegangen bin.

Was logischerweise nicht immer ganz einfach war, denn die Markierungen mit gelben Pfeilen oder Muschel-Symbolen führen halt nach Santiago (bzw. von dort nach Finisterre) und sind ohnehin schon häufig genug durch Bauarbeiten oder parkende Autos nicht erkennbar.
Die gelegentlichen blauen Pfeile, die normalerweise den Pilgerweg entlang bzw. entgegengesetzt dem portugiesischen Jakobsweg nach Fatima markieren, waren – zumindest im spanischen Teil – deutlich spärlicher gesät als ich mir das so im Vorwege überlegt hatte. Abgesehen davon, dass blaue Pfeile auf regennassem Untergrund, bei Nebel oder in der Dämmerung eben doch deutlich schlechter zu erkennen sind, als gelbe…

Und so kam es auch das eine oder andere Mal, dass ich mich verlief. Mal „nur“ ein bisschen parallel zum eigentlichen Weg, aber einmal lief ich sogar auch völlig daneben. Das kommt davon, wenn man blindlings einfach hinläuft, wo man andere herkommen sieht, ohne auf die Wegmarkierungen zu achten (zum Glück schickte mich ein LKW-Fahrer nicht allzu viel später wieder in die richtige Richtung).
Ja und einmal war es mir auch tatsächlich nicht möglich herauszufinden, aus welchem Weg an einer Kreuzung man optimalerweise hätte kommen müssen um den gelben Pfeil ideal sehen zu können (das war nämlich meistens mit Rätselraten oder detektivischer Kombinatorik verbunden). Und so marschierte ich dann auch – weil ich zu faul war in der Hitze den ganzen Weg zurückzulatschen – als Abkürzung durch ein Maisfeld. Das hatte echt was von Dschungel, sag ich Ihnen!
Noch eine Weile später fand ich mich auf einer Strassenkreuzung einer größeren Strasse wieder, ohne Ortsschilder, keine Wegmarkierungen weit und breit (außer einem Strassenschild, welches mir sagte, dass in 14 Kilometer Entfernung ein EU-gesponsorter Windpark war). Was glauben Sie, wie froh ich war, als ich nach einer kleinen, kreativen Pause, in der mich meine verbliebenen Essens- und Wasservorräte verinnerlichte, in gut 400 Metern Entfernung einige Pilger über eben diese größere Strasse laufen sah! Da war er wieder, mein Weg – er hatte mich wieder gefunden…

Erwähnenswert war übrigens auch noch die junge Dame beim Pilgerbüro in Santiago, zu deren Aufgaben es normalerweise gehört, den Pilgern, die die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen, ihre Pilgerurkunde auszustellen. Da die „entsprechenden Voraussetzungen“ sind, dass man entweder 100 Kilometer zu Fuß (oder 200 Kilometer mit dem Fahrrad) ohne motorisierte Unterstützung zurückgelegt haben muss, war mir schon fast klar, dass ich – nachdem ich im „nur“ neunzig Kilometer entfernten Finisterre gestartet war – wohl nur mit viel gutem Willen oder eher gar keine Urkunde bekommen würde.
Nachdem sie jedenfalls sah, wo mein Ausgangsort war, war sie sehr bemüht – dabei stand in ihrem Gesicht eine ziemlich deutliche Hilflosigkeit – mir wortreich auf Spanisch beizubringen, dass ich aufgrund dessen leider keine Urkunde bekommen könne (mein Spanisch ist zwar ganz ok, aber nicht so gut…). Nach einer – für uns beide gefühlt – langen Zeit weiterer Erklärungs-versuche (mittlerweile auf Englisch) sagte ich dann, ich wüsste, dass ich 10 Kilometer zu wenig auf dem Papier hätte für eine Urkunde, aber ich hätte ja auch schon zwei Stück zu Hause und wenn sie mir einfach nur einen Stempel in meinen Pilgerpass geben würde, würde ich auch schon wieder gehen. Was ich zu ihrer sichtlichen Erleichterung auch tat…

Und so pilgerte ich nach einer zweitägigen Ruhepause weiter – wie oben beschrieben: von Santiago weg in Richtung Süden. Von den verschiedenen Begegnungen hatte ich ja bereits geschrieben.

Was ich allerdings noch nicht erwähnt hatte, war die Tatsache, dass mir eigentlich schon zu Beginn der Reise klar war, dass ich es bei meinem „normalen“ Gehpensum von etwa 20 Kilometern am Tag (plus/minus 5) nicht schaffen würde, auch die kompletten 240 Kilometer bis nach Porto rechtzeitig bis zu meinem Rückflug zu Fuß zurückzulegen. Das bedeutete, dass ich an irgendeinem Punkt für eine große oder mehrere kleine Abschnitte auf Bus oder Bahn zurückgreifen musste.
Und genau das machte es bis zu einem gewissen Grad für mich schwierig – mir fehlte das große Ziel vor Augen, das nämlich jeder hat, der nach Santiago läuft. Der Weg ist das Ziel, heißt es so schön, und das Ziel ist der Weg. Oder auch: Ankommen, um dort zu sein. Wenn es denn immer so einfach wäre…

Denn bei mir war es eben anders. Ich war ja schon „am Ziel“ (zumindest dem der anderen) gewesen und lief nun um des Laufens willen – und hatte auch eine riesige Freude daran. Zumindest so lange wir ein bombiges Herbstwetter hatten (wolkenloser, strahlend-blauer Himmel und Sonnenschein) und die täglichen Strecken überwiegend auf Nebenstrassen und durch kleine Dörfchen verliefen. Was etwa vier Tage und 95 Kilometer der Fall war. Auch am fünften Tag noch, als ich zwei Tage vor meinem Rückflug in Valenca in den Zug stieg (eigentlich wäre ich gerne noch weiter auf dem Camino gegangen, aber die nächsten zwei Etappen hätten mich in irgendwelche Dörfer abseits jeglicher Busanbindung geführt).

Leider begann, während ich im so Zug saß, ein bis zu meinem Rückflug zwei Tage später nur durch wenige trockene Phasen unterbrochener Regenschauer. Im Regen eine Stadtbesichtigung machen (wie ich vorgehabt hatte) machte keinen Spass. Im Regen laufen auch nicht.

Wenn ich nun ein Ziel – wie z. B. Santiago – vor Augen gehabt hätte, hätte ich die widrigen Umstände in Kauf genommen und wäre trotzdem mehr oder weniger gut gelaunt  weiter gelaufen. Aber so fehlte mir irgendwie jeglicher Ansporn (wenn man mal von trockenen, sauberen Klamotten absieht, die so oder so zu Hause in Deutschland auf mich warteten) für jegliche Entscheidung und jegliche Handlungsalternative.

So deutlich wie durch dieses Erlebnis hatte ich noch nie erfahren, wie wichtig es ist klare Ziele vor Augen zu haben…

Herzlichst, Ihre Christina Bolte

Schwimmen gegen den Strom (2)

25 Okt

In meinem letzten Beitrag schrieb ich darüber, wie es mir auf meiner letzten Pilgerwanderung auf dem Jakobsweg erging, auf der ich vom Reiseziel der meisten Pilger startete um auf dem selben Weg „wieder zurück“ zu gehen.
Mein Motto war dabei „Der Weg zurück ins Leben“ oder vielmehr in meinen Alltag, denn die Menschen, die vor 800 Jahren eine Pilgerreise machten, konnten sich ja auch nicht einfach in ein Flugzeug setzen, um vom Ziel ihrer Pilgerreise wieder nach Hause zu kommen…

Spannend fand ich es aber auch, die Reaktionen der anderen Pilger wahrzunehmen, die ich grüßte während unserer kurzen Begegnung, wenn sie mir entgegen kamen, oder während einer etwas längeren Begegnung, wenn ich sie abends in den Herbergen traf (ich karikiere hier natürlich ein wenig, also bitte nicht ganz wörtlich nehmen).

Zunächst einmal gab es
Die Verunsicherten – oder auch: die Selbstzweifler:
Das sind die, die sofort verunsichert bis verwirrt ausschauten und anfingen, anhand irgendwelcher Wegmarkierungen oder der Beschreibung in ihrem Reiseführer zu überprüfen, ob sie möglicherweise falsch gingen. Denn wie wäre es sonst möglich, dass ihnen jemand entgegen kommt?

Die Selbstbewußten – oder auch: die Bestimmten:
Das genaue Gegenteil der Verunsicherten. Diese waren so felsenfest von der alleinigen Richtigkeit „ihres“ Weges überzeugt, dass sie mich sehr bestimmt darauf aufmerksam machten, wo es lang gingt – und das nicht etwa hilfsbereit-fragend, sondern fast schon befehlend. Daß andere Menschen möglicherweise andere Ziele oder andere Wege haben, schien ihnen eine neue Option zu sein.
Fragt sich nur, wer von uns ver-rückt war, oder?

Die Hilfsbereiten – oder auch: die Empathischen:
Dann gab es auch noch diejenigen Menschen, die mich – vor allem, als ich aufgrund einer fetten Schleimbeutelentzündung ziemlich stark humpelte – fragten, ob bei mir alles in Ordnung sei oder das Humpeln der Grund für mein Umdrehen sein. Dazu zähle ich auch die drei spanischen Hausfrauen, die mich am Morgen aufgrund meines schmerzverzerrten Gesichtes, etwa 8 km vor meiner Ankunft in Santiago fragten, ob ich nicht lieber einen Bus nehmen wollte (was natürlich einerseits mit meiner Pilgerehre nicht zu vereinbaren war und andererseits die Busse sowieso nur alle Jubeljahre mal fuhren).

Die Mißtrauischen (zum Glück war es nur einer):
In einer Herberge sagte mir doch tatsächlich jemand sinngemäß, vor Menschen wir mir (die den Jakobsweg zurück gingen) müsse man sich in Acht nehmen, denn sie seien suspekt oder hätten was zu verbergen – vor allem wenn sie einen Hund mit sich führen würden, was ich allerdings nicht hatte. [Zur Erklärung: es gibt einige wenige, die vom Jakobsweg den Absprung nach Hause nicht schaffen und quasi als Dauerpilger von einem Jakobsweg zum anderen ziehen – manche von diesen sind dann irgendwann in Begleitung von Hunden anzutreffen, weswegen sie dann keinen Zutritt mehr in die Pilgerherbergen bekommen]

Die Neugierigen – oder auch: die Weltoffenen:
Am meisten berührt haben mich ehrlich gesagt die beiden Begegnungen, wo mir ein entgegenkommender, dem Dialekt nach schätzungsweise amerikanischer Pilger einfach nur sagte bzw. fragte: „Oh, you’re going back?“ – so, als ob es die normalste Sache der Welt ist.
Oder die handvoll Gespräche mit Menschen, die sich nach meinen Motiven interessierten, warum ich zurück ging.
Das Attribut „neugierig“ ist daher für mich eindeutig positiv belegt, da es im wörtlichen Sinn einen gewissen Wissensdurst bestätigt und von Interesse zeugt.

Die breite Masse:
Das waren die vielen Menschen, sozusagen der Schwarm oder die Herde, die mit dem Strom schwimmen, die auf meinen Gruß (übrigens dem traditionellen Pilgergruß „Buen Camino“) ganz normal zurück grüßten.
Nur wenige von denen schauten leicht schräg, so als ob ich „keiner von ihnen“ sein könnte, es aber dennoch wagte, mich ihres Grußes zu bedienen.
Vielleicht war das aber auch nur meine eigene Interpretation. Denn dieser „Herde“ zugehörig war und fühlte ich mich auch in der Tat nicht, sondern eher so wie auf einer Art Kamera-Perspektive…

Und um abschliessend noch mal auf die im ersten Teil erwähnte Bemerkung meiner Bekannten zurückzukommen: Sooo einsam war der Camino dann doch nicht – für mich war der Weg voller Begegnungen, wenngleich diese auch nicht besonders lang waren.
Ich bin mir aber sicher, dass der oder die eine oder andere – ob bewusst oder unbewusst, direkt oder indirekt – durch diese unsere Begegnung, evtl. auch nur durch mein blosses Da-Sein, oder (im Fall der „längeren“ abendlichen Begegnungen) auch durch unsere Unterhaltung seinen Weg verändert fortgesetzt hat. So wie auch mich die eine oder andere Begegnung und dieses oder jenes Gespräch noch eine Weile in meinen Gedanken und auf meinem Weg begleitet hat.

Welche Hindernisse ich sonst noch so beim Schwimmen gegen den Strom zu überwinden hatte, lesen Sie im dritten Teil…

Schwimmen gegen den Strom (1)

21 Okt

Diese Woche las ich (zu einem Bild wie diesem) auf Facebook den Spruch : „Wer mit der Herde geht…  kann nur den Ärschen folgen!“

Wer mit der Herde geht Nun kann man sicher darüber streiten, ob dieser Satz witzig, politisch korrekt oder einfach nur blöd ist. Ich musste jedenfalls ganz spontan an meine Reise auf den Jakobsweg denken, von der ich gerade zurückkam.

Ich war nun bereits zum dritten Mal auf dem Jakobsweg unterwegs gewesen. Mit dem Unterschied, dass ich diesmal rückwärts gegangen bin. Rückwärts nicht im Sinne von Rücken voran, sondern in dem Sinn, dass ich dort meinen Weg begonnen habe, wo andere normalerweise ihren Weg beenden.

 

 

 

 

Und das war in vielerlei Hinsicht seltsam – zunächst mal für mich…

Zunächst mal war es ein komisches Gefühl, auf der Fahrt mit dem Bus nach Santiago bzw. Finisterre zu fahren (mein Hin-Flug ging nämlich nach Porto) und in den 2,5 Std. bis zu meiner Weiterfahrt nach Finisterre (was übersetzt so viel bedeutet wie „Ende der Welt“, von wo aus ich loslaufen wollte) in das Flair von Santiago de Compostella einzutauchen, um die Zeit nicht am Busbahnhof verbringen zu müssen und um was zu essen.

Mir begegneten mir lauter euphorische Pilger oder gemütliche Bustouristen, die sich trotz starker Bewölkung freuten, durch die Gegend zu bummeln. Um die beeindruckende Kathedrale von Santiago de Compostela – Ziel eines jeden Jakobs-pilgerwegs – machte ich einen großen Bogen. Nicht etwa, weil ich das Gefühl hatte, es nicht wert zu sein dorthinzugehen (wie mich später jemand fragte), sondern eher weil ich von mir selbst aus gar nicht das Gefühl hatte, dort richtig zu sein.

Ungewohnt war sicherlich auch, Santiago und Finisterre in frischen Klamotten zu erreichen – normalerweise hat man am Ende seines Pilgerweges eher selten noch Kleidungsstücke, die nicht mindestens drei Mal gewaschen wurden und dennoch ein wenig müffeln (daher kommt übrigens auch der Brauch, dass in der Kathedrale von Santiago zu wichtigen Messen das Weihrauchfass geschwungen wird – früher diente dies der Desinfektion…)

Eine (Camino-erfahrene) Bekannte hatte mir zuvor prophezeit, dass es rückwärts ein einsamer Camino werden würde – womit sie zum Teil Recht hatte. Denn naturgemäß sind mir viel mehr Leute entgegen gekommen, als in meine Richtung gingen. Und so bin ich „meinen Weg“ zumeist alleine gegangen, was für mich ok war, weil ich so gut meinen eigenen Takt finden und nachdenken konnte. Auch konnte ich dadurch auf eine ganz besondere Weise die unterschiedlichen Stimmungen wahrnehmen, die mir durch die Natur und die verschiedenen Wetterlagen vermittelt wurden.

Apropos „meinen Weg“: Manchmal, vor allem bei schlechtem Wetter oder in der Dämmerung, war es gar nicht immer so leicht, die Wegmarkierungen zu finden, die meinen oder den entgegen-gesetzten Weg markierten. Ein paar Mal hatte ich mich sogar auch verlaufen. Dann freute ich mich immer, entgegen- oder vorbei-kommende Pilger zu sehen, denn sie zeigten mir an, dass ich wieder auf dem richtigen Weg war – waren mir also im Wortsinn „Weg-weiser“.

Unerwarteterweise gab es tatsächlich einen Tag, an dem ich Gesellschaft hatte: Denn zunächst begegnete mir ein Italiener und später auch noch eine Tschechin, die in die gleiche Richtung liefen wie ich, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Motivationen und mit verschiedenen Zeitplänen. Und so empfand ich es einerseits als schön, diese eine Etappe zusammen mit meinen neuen Weggefährten zu laufen, dennoch war es aber eben auch sehr ungewohnt, jemand anderes‘ Präsenz neben mir zu spüren.
Alles in allem möchte ich nicht sagen, dass ich auf meiner Reise einsam war. Denn abends in den Herbergen gab es ja genügend Begegnungen. Nur dass mir die wenigsten der Menschen, die ich dort traf, wiederbegegnet sind – was ja anders ist, wenn man „mit dem Strom schwimmt“, wo man sich früher oder später immer wieder begegnet.
Ein paar Mal unterwegs musste ich auch – zum ersten Mal seit über 20 Jahren – wieder an meinen Konfirmationsspruch denken, den ich mir als 14-Jährige in einem aus heutiger Perspektive zu bezeichnend als „heller Moment“ ausgesucht hatte: „Wie eng ist die Pforte und wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind’s die ihn finden!“ (Matt. 7,14).

Übrigens habe ich ich mit diesen Menschen, auch wenn ich sie nur dies eine Mal getroffen habe, überwiegend sehr tiefgehende Gespräche geführt, wie es fast nur auf dem Camino möglich ist. Und diese Gespräche haben teilweise in mir noch relativ lange „nachgeschwungen“…

So zum Beispiel stimmte mich u. a. der abendliche Kommentar einer Engländerin in einer Herberge sehr nachdenklich, die sagte, dass sie es extrem schwierig fände, den Pilgerweg rückwärts zu laufen, denn dann würde man ja dauernd Leuten entgegen gehen. Möglicherweise war ich etwas unbedarft an mein Vorhaben (mit dem Rückwärtsgehen) herangegangen, denn darüber hatte ich mir zum Glück zu keinem Zeitpunkt Gedanken gemacht. Während meiner ganzen Reise habe ich das getan, was man als gut erzogener Mensch so macht: Ich habe jeden mir entgegen gehenden Pilger mit dem üblichen Pilgergruß/-wunsch „Buen Camino“ (das heißt soviel wie „Guter Weg!“) gegrüßt.

Die Reaktionen der Menschen darauf waren allerdings höchst unterschiedlich, aber das wird eine andere Geschichte…

Fortsetzung folgt.

Eindrücke vom Camino (2)

22 Jun

Zusammen unterwegs auf dem Weg des Lebens.

Vogelgezwitscher, Blumenduft.
Mal schweigend, mal lachend.
Regentropfen im Gesicht oder Sonnenschein.
Stehen bleiben, sich umarmen.
Gedanken teilen, und Erlebnisse.
So geht es weiter, bis zum Ende der Welt. Und zurück.

Getragen – von den Füßen, den eigenen.
Und der tiefen Verbundenheit, zu Dir.
In tiefer Dankbarkeit – bin ich. Angekommen.
Spüre das Leben! JETZT!

Eindrücke vom Camino (1)

18 Jun

Zu Fuß unterwegs auf dem Weg des Lebens,
die Langsamkeit des Gehens genießend.
Ich nehme mit all meinen Sinnen wahr:

Höre das Vogelgezwitscher und das Plätschern des Baches
trotz der Geräusche der Autos auf der Landstrasse neben mir.
Hin und wieder gackern die Hühner.

Spüre die Sonne und den Hauch des Windes auf meiner Haut,
oder gestern auch den Regen.
Auch spüre ich die Anspannung in meinen Muskeln von den
noch ungewohnten Bewegungen und den Schmerz in meiner Achilles-Ferse.

Ich sehe die bunten Blumen am Wegesrand und
die weissen Wolken am blauen Himmel über mir.
Auch die verfallenen oder zum Verkauf stehenden
Häuser in den Ortschaften am Wegesrand sind kaum zu übersehen.
Die gelben Pfeile weisen mir den Weg.

Ich nasche ein paar Walderdbeeren vom Wegesrand,
deren süßer Geschmack hallt noch lange auf meiner Zunge nach.
Die Klarheit des Wassers erfrische meine Kehle.
Ich genieße die teilweise mir fremden Gewürze,
die meine Mahlzeit zu einem Hochgenuß für den Gaumen werden lassen.

Trotzdem, dass der Bauer gerade sein Feld gedüngt hat,
duftet es aus der Bäckerein im Ort nach Frischgebackenem und Kaffee.
Zeit für eine Pause.

Jede meiner Zellen jubiliert:
Ich BIN! Ich LEBE! JETZT!

Unterwegs…

25 Jul

Pilgern stammt vom lateinischen Wort peregrinus (oder peregrinari, in der Fremde sein) ab, was Fremdling bedeutet. Im Kirchenlatein wird es als pelegrinus abgewandelt, und bezeichnet es eine Person, die aus religiösen Gründen in die Fremde geht, d. h. zumeist zu Fuß eine Wallfahrt zu einem Pilgerort unternimmt.* (Quelle: Wikipedia)

Für vielen Menschen hat das Pilgern eine ein wenig seltsame oder eigenartige Anmutung, denn ist es nicht eine Form des (zumindest vorübergehenden) Aufgeben der Heimat (und auch eines Großteils des Hab und Gutes)? Für jemanden, der unfreiwillig seine Heimat oder sein Obdach verloren hat, ist es also eher unverständlich, dieses freiwillig zu tun. 

Ja, gewiss ist für den modernen Pilger sicherlich auch eine Menge Lust auf Abenteuer ausschlaggebend, für manche (die 800 km Jakobsweg mit dem Rad in 1 Woche absolvieren) ggf. auch sportlicher Ehrgeiz. Für die meisten Menschen ist Pilgern aber auch eine Ausdrucksform der Hoffnung – früher nach Sündenablass oder nach Gebetserhöhrung in Bezug auf ein bestimmtes Anliegen und auch heute immer noch nach Heilung. 

Worin besteht die Heilung – oder in der Langform des Wortes: Heil-Werdung? Worauf hofft der moderne Pilger? Oder wo nach sucht er? Was fehlt denn den pilgernden Menschen, von denen viele in finanzieller Hinsicht alles hatten oder haben, wovon Millionen andere nur träumen?

„Manchmal wird uns der Wert der Dinge erst dann bewusst, wenn wir auf sie verzichten müssen.“  (Walter Reisberger)

Tja, meist sind es wohl die unbezahlbaren Dinge, die fehlen, und so sind letztendlich viele Pilger auf der Suche – nach dem Sinn des Lebens oder nach sich selbst. 

Denn auf dem Pilgerweg interessiert es normalerweise keinen, womit man „im normalen Leben“ sein Geld verdient, sondern es interessiert die Mitpilger, WO man herkommt und warum man auf dem Weg ist. Und WER man IST.

Ist es nicht ein besonderer Luxus, der uns da beim Pilgern vergönnt ist: Einfach nur SEIN zu dürfen – wo kann man das denn schon tun? Im Alltag identifizieren wir uns doch sehr häufig mit unserer beruflichen Tätigkeit oder mit unserem Besitz, also Haus, Auto, Familie (meist in der Reihenfolge…) Es zählt also vorwiegend nur, was man TUT oder was man HAT.

Also ist es unterwegs eben doch ein Vorteil, in der Fremde zu sein, nämlich  dass einen niemand kennt. Man kann sich also geben, wie man ist. Das heißt SEIN, wer man wirklich IST.

Wieso kann man das zu Hause (d. h. da wo einen jeder kennt) eigentlich nicht? Liegt es nicht vielleicht daran, weil das bekannte Umfeld einen in gewisser Weise kennt und entsprechende Verhaltensweisen erwartet (aber Erwartungen ist ein anderes Thema). 

Ob Sie sich nun auf den Pilgerweg begeben wollen oder können oder nicht: Die interessante Frage ist meiner Meinung nach, WIE man das ganze denn zu Hause umsetzen kann … Am einfachsten geht es meiner Meinung nach durch Ausprobieren. Also, SEIEN Sie doch einfach mal. Am besten Sie selbst.

Ultreya!*

*(aufmunternder, mutmachender Gruß auf dem Jakobsweg bedeutet so viel wie „Vorwärts! Weiter!“ oder auch „Guten Weg“)