Wenn ich dieser Tage so aus meinem Fenster sehe, freue ich mich über eine wahre Farbenpracht: Rotes Weinlaub, leuchtend orangefarbene Ahornblätter – und heute auch noch strahlend blauen Himmel und Sonnenschein. An jeder Ecke (zumindest wenn man etwas auf dem Land wohnt) stehen Verkaufsstände mit ebenfalls leuchtenden Kürbissen. Erntezeit.
Auch auf unserem Ackerstück (siehe auch hier) – denn Ende Oktober ist immer Saisonabschluss. So machte ich mich heute auf den Weg, um noch die letzte Ernte einzufahren (wobei wir dieses Jahr wirklich reichlich belohnt worden waren, Hauptsächlich allerdings mit Zucchini…).
Und wo fuhr ich mit zwei großen Kisten an Ernte heim: große Mengen an grünem und rotem Mangold, Petersilie, Kapuzinerkresse und zwei kleine Kürbisschen (die wohl der zwischenzeitliche Fast-Frost vom Wachsen abgehalten hatte).
Trotzdem, dass ich mich eigentlich über die Ernte hätte freuen sollen, wurde ich auf dem Heimweg ein wenig wehmütig. Denn trotz der Farbenpracht ist der Herbst ja eigentlich die Jahreszeit des „Loslassens“: Von den langen, hellen Tagen haben wir uns schon vor Monaten verabschieden müssen, von den sommerlichen Temperaturen auch schon vor einer ganzen Weile, die Bäume müssen ihr Laub loslassen und stehen dann schon bald wieder ganz kahl da, was ich immer irgendwie etwas trostlos finde. Nicht zuletzt ist bald (nächste Woche) auch noch Allerheiligen, was nun auch mit Loslassen, Tod, Abschied nehmen zu tun hat.
Und so musste ich daran denken, dass auch in meinem Leben gerade zwei Episoden zu Ende gehen: Auf der einen Seite mein Büroraum, der mich durch die letzten zwei Jahre begleitet hat. Aus verschiedenen Gründen hat es sich so ergeben, dass unsere gemeinsame Zeit abgelaufen scheint. Was natürlich immer mit aufräumen, aussortieren und loslassen verbunden ist (zumindest nutze ich die Gelegenheit dazu…). Meistens wird unterschätzt, wie kraftraubend solche Loslass-Prozesse sind, da bin ich gefragt, gut für mich zu sorgen und zu schauen, was mir gut tut.
Und auf der anderen Seite ist da mein Studium, das mich die letzten fast drei Jahre sehr bereichert hat, welches demnächst seinen Abschluss findet – mit all den netten, tiefsinnigen Menschen, mit denen ich diese Zeit geteilt habe. Abschied nehmen ist da gleich doppelt anstrengend…
„Auf jedes Ende folgt wieder ein Anfang, auf jedes Äußerste folgt eine Wiederkehr“,
wusste schon Lü Bu We vor etlichen Hundert Jahren.[i]
In solchen Situationen des (vermeintlichen) Endes und des Abschiednehmens muss ich immer an meine letzten Tage auf dem Jakobsweg denken: Was mich damals mit Schmerz und Wehmut erfasste, erwies sich im Nachhinein als ein Wendepunkt in meinem Leben.
Was das betrifft, ist die Natur uns ein wundervolles Vorbild: Auf dem Humus dessen, was die Natur im Herbst verwirft und loslässt oder was (ab)stirbt und im Sinne des Wortes zu-grunde-geht, entsteht in der Stille des Winter und danach ein fruchtbarer Grund und Nährboden für Neues – neues Wachstum, neues Leben, neue Projekte. Transformation bedeutet Stirb und Werde: Altes loslassen, damit Neues entstehen. Dazwischen braucht es Rückzug, die Kraft der Stille und des Augenblicks. Präsent sein – und sich der eigenen Essenz gewahr werden.
Nutzen wir die herannahende Zeit des Winters – für uns um Ruhe zu finden, loszulassen, Kraft zu schöpfen – damit neue Projekte und Ideen auf der Grundlage unserer Essenz entstehen können.
Aber erstmal wünsche ich Ihnen: Fröhliches Ernten!
Ihre Christina Bolte
[i] Frühling und Herbst des Lü Bu We, S. 56