Im Mai war ich, wie bereits hier geschrieben auf einem Kongress zum Thema Wirtschaft & Gesundheit, wo als Rahmenprogramm abends ein Konzert von Percussionist Nils Tannert geboten war. Obwohl ich es sehr faszinierend fand, wie spielerisch und gleichzeitig künstlerisch er die unterschiedlichen Rhythmen und Instrumenten aus den verschiedenen Kontinenten und Kulturen präsentierte, fragte ich mich dennoch, wie diese Veranstaltung thematisch zu den übrigen Vorträgen und Workshops passte.
Die Antwort auf diese Frage gab Nils Tannert selbst in seinen einleitenden Worten vor seiner Performance auf der riesengroßen, durchdringenden O-Daiko: Beim Spielen dieses japanischen Instrumentes hätte er gelernt, wie wichtig es ist, einen guten und sicheren Stand zu haben, um nicht die eigenen Schläger an den Kopf zu bekommen.
Auf der anschließenden dreistündigen nächtlichen Heimfahrt tanzten meine Körperzellen noch lange von der kraftvollen Resonanz und der durchdringenden Wirkung der Schwingungen…
Dieses Erlebnis kam mir wieder in den Kopf, als ich Anfang August – wie auch schon mal zwei Jahren zuvor – auf einem Sommerfest im Zeichen des Herztrommelns war. Nach einer kurzen aber mächtigen Einstimmung auf die Instrumente wurde in einer großen Gruppe die ganze Nacht durch bis zum Morgengrauen getanzt und getrommelt.
Neben den beruhigenden und fast schon meditativen Erlebnissen vom Trommeln im Rhythmus unseres Herzschlages, über die ich schon in meinem letzten Beitrag geschrieben hatte, gab es auch einige weitere Aspekte, die mich in der Nacht bewegt haben.
Zum Beispiel, wie wichtig die Wahl des richtigen „Instrumentes“ ist. Denn neben etwa 25 sogenannten Djembés – das sind die Trommeln, die man im Sitzen mit seinen Händen spielt und die man während dem Spielen zwischen den Knien hält, um eine bessere Resonanz zu haben – gab es noch ein gutes halbes Duzend Bass-Drums.
Bass Drums sind deutlich höher, haben einen größeren Durchmesser und stehen auf einer Art hockerähnlichem Gestell. Man spielt sie im Stehen und benutzt Holzschläger dazu.
Bisher hatte ich mir nie erlaubt, auf den großen Instrumenten zu spielen, weil ich aus irgendeinem Grund der Überzeugung war, man müsse dafür besonders qualifiziert sein, um so mächtige Töne abzugeben. Was natürlich Quatsch ist, denn die anderen Trommler verfügten über genauso viel bzw. wenig Trommel-Praxis wie ich.
Jedenfalls merkte ich zu einem Zeitpunkt mitten während der Nacht, dass der Trommel-Rhythmus für mein Empfinden völlig entgleiste. Aggressiv, schnell und unrhythmisch schlugen die Trommeln. Ich glaube, bei einem Patienten wäre die dazu passende Diagnose Herzflimmern gewesen, deren Folge unbehandelt meist tödlich ist.
Auch ich merkte, wie ich im Begriff war, mich von der Aggression des Rhytmus‘ anstecken zu lassen, aber zum Glück gelang es mir, diesem entgegen zu wirken. Trotz des dämmrigen Lichts nahm ich wahr, dass auch andere Trommler sich mit dem schnellen Rhythmus unwohl fühlten. Und so transformierte ich die in mir entstehenden Gefühle in einen gewissen Ehrgeiz – den Ehrgeiz, einen neuen, stabilen Herz-Rhythmus zu etablieren.
Was ich zunächst auf den Djembés probierte – ein völlig aussichtsloses Unterfangen: Zu unscheinbar war deren Klang.
Als ich mich dann eine Weile später an die Bass-Drums wagte, erinnerte ich mich an die Körperhaltung und Worte von Nils Tannert. Leicht gegrätschter, lockerer Stand – tief durchatmen – und trommeln: Da – dum. Pause. Da – dum. Pause. Da – dum. Pause. Ein schöner, regelmäßiger Rhythmus – der sich allerdings schwer tat, gegen das wilde Rasen der überwiegenden Mehrheit wahrgenommen zu werden.
Ich nahm Blickkontakt auf – eine Person nach der anderen – mit denjenigen, von denen ich vorher wahrgenommen hatten, dass sie sich unwohl fühlten. Was nur teilweise erfolgreich war, aber immerhin einige stiegen in den von mir getrommelten Rhythmus mit ein. Mit anderen wiederum kam kein Blickkontakt zustande, und einer von denen verließ – sich alleine wähnend – frustriert den Raum.
Klar, nun war es eine wahre Kakophonie, ein Durcheinander der Rhythmen, Tempi und Klänge, was in gewisser Hinsicht ziemlich grausam für’s Ohr war. Einige der oben erwähnten Trommler schlossen sich wieder der rasenden Mehrheit an. Aber so schnell wollte ich nicht aufgeben. Kurze Pause. Ordentlich hinstellen. Tief durchatmen – und trommeln: Da – dum. Pause. Blickkontakt aufnehmen. Da – dum. Pause. Da – dum. Pause. Blickkontakt aufnehmen. Tief durchatmen: Da – dum. Pause. Blickkontakt aufnehmen. Da – dum. Pause. Da – dum. Pause. Da – dum. Pause. Blickkontakt aufnehmen. Da – dum. Pause. Da – dum. Pause.
Einer nach dem anderen fällt in diesen regelmäßigen Takt ein – der Herzflimmern-Patient ist tot, aber dafür lebt ein anderer Herzrhythmus. Ein Rhythmus, der beruhigt, Geborgenheit vermittelt.
Gänsehaut. So macht das Trommeln wieder Freude…
Veränderungen brauchen einen guten Standpunkt & Netzwerke – und den richtigen Zeitpunkt
Mein persönliches Fazit ist, was ich durch dieses Erlebnis an diesem Abend spielerisch erfahren und erleben konnte:
1. Auch ein einzelner kann in einer großen Gruppe oder Gesellschaft Dinge verändern, die ihn stören und so ein neues System oder eine neue Art und Weise in die Welt bringen.
2. Dabei ist es wichtig, einen guten sicheren Stand zu haben – in seiner Position, in seinter Kraft & Gesundheit und im Leben. So hat man ein gutes Durchhaltevermögen und wird nicht so leicht aus der Bahn geworfen, wenn das geplante Vorhaben mal nicht gleich klappt.*
3. Genauso wichtig ist es, Kontakt zu Gleichgesinnten oder Verbündeten aufzunehmen. Netzwerke sind wichtig, denn sie geben Halt, man unterstützt sich und vor allem fühlt man sich nicht alleine im Kampf gegen Goliath.
4. Aussteigen ist keine Lösung und bewirkt selten eine Veränderung. Wer mit einer Situation oder einer Gesellschaft unzufrieden ist, sollte – bevor er frustiert oder verbittert das Handtuch wirft und (überspitzt formuliert) auf eine ostasiatische Insel auswandert oder sich jahrelang in ein Kloster zurückzieht – 3. beherzigen.
5. Last but not least, braucht es aber auch eine Umfeld, was reif für die Veränderung ist. Was sich kaum treffender ausdrücken läßt als mit einem Ausspruch von Victor Hugo in einer etwas freien deutschen Übersetzung: „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“
* Der Fairheit halbe muss ich dazu sagen, dass das gleiche Anliegen ein zweites Mal nicht funktioniert hat.